aus Westfälische Rundschau: Montag, 28.
März 2011
Caroline-Kostenexplosion
auf 2,9 Millionen Euro - Bürger suchen Verantwortlichen -
Schadensbegrenzung unmöglich
Buhmänner für die Brücke
gesucht
von Ruben Schulte
Holzwickede. 2,9 Millionen Euro Baukosten für
die
Carolinebrücke – vor allem die Frage, wem man dafür den
Schwarzen Peter zuschieben könnte, brennt auf den Nägeln.
Bürgermeister Jenz Rother und Bauamtsleiter Jens-Uwe Schmiedgen
stellten sich auf Einladung der CDU beim gestrigen
Bürgerstammtisch den Fragen der Gäste. Unsere Zeitung stellt
die möglichen Buhmänner vor.
Die Chinesen
„Der Chinese hat
auf dem Weltmarkt extrem viel Stahl gekauft“,
erklärt Schmiedgen. Damit sei der Stahlpreis zum Baustart der
Brücke auch enorm gestiegen. Ein Stammtisch-Gast hatte den
Stahlpreis der vergangenen Jahre dabei. Zum Baubeginn der Brücke
2008 war er um 168 Prozent gestiegen, 2009 aber zurück auf 98
Prozent gefallen.
»Ohne Brücke gäbe es kein
Altenheim, kein Wohngebiet, sondern eine Industriebrache«
Doch den Zeitpunkt
des Materialeinkaufs zu ermitteln, helfe nicht
weiter, meinte Schmiedgen – das sei Sache der Baufirma und der
Kostensprung auf 1,7 Millionen Euro zudem im März 2009 vom Rat
abgesegnet worden.
Die Deutsche
Bahn
Teure Probleme
gab’s beim Fundament der mittleren roten
Brückenstütze. Zwischen den Schienen sollte es mit
Spundwänden, einem stählernen Rahmen, in die Erde gebracht
werden. Doch beim Baggern fanden sich ganz am Rand der Baugrube
Holzsplitter – ein Hinweis auf einen alten Bombenkrater. „Die Erde ist
da wie ein Flummi und gibt nach“, erklärte Schmiedgen. Das Aus
für die Spundwand-Lösung: „Normalerweise füllt man dann
das lockere Erdreich mit Beton auf, wie etwa an der Nordschule.“
Allerdings legte die Bahn ihr Veto ein. Pumpe man Beton in die Erde,
könne es sein, dass sie sich an anderer Stelle hebe. „Und es liegt
eine ICE-Strecke in unmittelbarer Nähe, die sich nicht einen
Millimeter verziehen darf.“ Eine defekte ICE-Strecke koste 175 Euro
netto pro Minute.
Statt ursprünglich geplanter Befestigung sichern nun mit Beton
gefüllte Eisenrohre die rote Brückenstütze wie Anker im
Boden. Das war wesentlich teurer.
Der
Bodengutachter
Dass ein alter
Bombenkrater Schwierigkeiten macht, hätte man
feststellen können. „Jeder Private, der sich auf einen Fachmann
verlässt, kann ihn für falsche Aussagen haften lassen“,
sagten Bürger. Doch der Experte sollte im Auftrag der Gemeinde
nicht nach Bombenschäden suchen, sondern checken, ob die Erde im
Bereich der Baugrube in Ordnung ist – und zwar nur mit Probebohrungen.
„Dass am äußersten Rand der Baugrube der lockere Boden
hätte erkannt werden können, ist Risiko des Auftraggebers“,
erklärte Schmiedgen. Dennoch will er die Haftungsfrage noch mit
der von der Gemeinde für den „Problemfall Carolinebrücke“
beauftragten Anwaltskanzlei besprechen.
Die Verwaltung
Warum schon im
Fördermittelantrag an die Bezirksregierung im
August die Baukostensumme von 2,9 Millionen Euro eingetragen wurde, die
Öffentlichkeit und der Rat aber erst vor gut einer Woche
darüber informiert wurden, dass dieser Betrag erreicht ist,
fragten sich einige. Die Zahl 2,9 Millionen sei auf Wunsch der
Bezirksregierung eingetragen worden als maximale Kostenschätzung
des Projektleiters, meinte Schmiedgen. Damit hätte der
Förderantrag nicht noch groß korrigiert werden müssen,
falls die im August bekannten tatsächlichen Kosten
überschritten würden. „Dass sich die Zahl der damaligen
Schätzung und die aktuellen Kosten nun genau decken, ist Zufall“,
meinte Schmiedgen.
Dass von Anfang an bei den Brückenkosten nur die reinen Baukosten
von der Verwaltung angegeben worden sind, ohne die zusätzlich
anfallenden etwa 16 Prozent ausmachenden Planungskosten zu
erwähnen, solle in Zukunft nicht mehr passieren. „Der Bürger
müsse einen Endpreis wissen, um sich ein klares Bild zu machen“,
waren sich die Gäste einig.
Die Baufirma
Ganz sicher kostet
die Brücke derzeit 2,5 Millionen Euro. 400 000
Euro sind strittig -- das heißt: die Baufirma fordert sie, die
Gemeinde will sie aber nicht zahlen. „In der Privatwirtschaft
würde man sich vergleichen, also auf einen Betrag in der Mitte
einigen“, erklärte Schmiedgen. Doch der Gemeinde liege der
Landesrechnungshof im Nacken. „Der kennt nur Schwarz oder Weiß,
also entweder muss die Gemeinde alles zahlen oder gar nichts.“
Ursprünglich habe von acht Bewerbern die ausführende Baufirma
aber das günstigste Angebot für den Brückenbau gemacht.
„So ein Projekt ist wie ein Tanker, der, nachdem er losgefahren ist,
kaum noch gestoppt werden kann.“ Bedeutet: Ab Auftragsvergabe ist eine
Kommune auch bei Kostenexplosionen an das Projekt quasi gebunden. „Ein
Baustopp hätte auf jeden Fall die Forderung aus dem Bauauftrag von
1,7 Millionen Euro gekostet.“ Die hätte allein die Gemeinde tragen
müssen, denn ohne fertige Brücke gibt’s auch keine
Förderung (70 Prozent) vom Land.
Die
Ratspolitiker
Die Gäste
warfen auch den Ratspolitikern vor, sich über die
Möglichkeit einer Kostenexplosion nicht hinreichend informiert zu
haben. „Bei so einem Großprojekt, bei dem sich die Gemeinde
selbst ein Denkmal setzt, gehört es auch dazu, die Macher und
Bauverantwortlichen zu überwachen und aktuelle Zahlen
anzufordern“, fand ein Gast. Das sah CDU-Chef Rolf Kersting als
Ausrichter des Bürgerstammtisches ganz anders. „Die von uns
Beauftragen haben eine Bringschuld. Wenn ich ein
»Die
Bürger jagen uns Politiker doch zum Teufel, es vertraut uns bald
keiner mehr«
Auto zu einem
festen
Preis bestellt habe, frage ich den Händler auch nicht jeden Tag,
ob es teurer geworden ist.“
Man könne als Politiker den Bürgern die Kostenexplosion kaum
erklären, fand CDU-Mann Frank Markowski wütend, „die jagen
uns doch zum Teufel.“ Jenz Rother nickte daraufhin und murmelte: „Was
soll ich denn sagen?“
Dennoch sollen nun die am Bau beteiligten Firmen und
Ingenieurbüros mit den Politikern an einen Tisch geholt werden, um
noch offene Fragen zu klären. „Wir haben den Unternehmen und
Beauftragten zu viele Freiräume gelassen“, räumte Rother ein.
Gedrückt werden können die Baukosten aber nicht mehr.
Bildunterschrift:
Beim Bürgerstammtisch der CDU stellten sich gestern
Bürgermeister Jenz Rother (Mitte) und Bauamtsleiter Jens-Uwe
Schmiedgen (links) den Fragen über die Kostenexplosion der
Carolinebrücke. - [Anm. d. Webmasters]: rechts daneben Rolf
Kersting
Bildunterschrift unter einem Luftbild der Brücke: Gestiegener
Stahlpreis zum Baustart und Probleme mit dem Fundament des roten
Stützpfeilers zwischen den Gleistrassen machen die
Caroline-Brücke zwischen Supermarkt und Neubaugebiet viel teurer
als geplant.
HINTERGRUND
Chronologie der Kostenexplosion
- Am 30. Juni 2008 einigt sich der
Gemeinderat über den Bau der Carolinebrücke als
Stahlpylonen-Konstruktion (Stimmen: 28 ja, 5 nein, 3 Enthaltungen).
- Baukosten
ohne Planungskosten: 833000 Euro.
- Ein
Bürgerbegehren gegen die Brücke scheitert am 2. November
2008. 34 Politiker stimmten für die Brücke, sechs enthielten
sich.
- Das Ergebnis
der Ausschreibung liegt am 24.03.2009 auf dem Tisch. Acht Firmen haben
Angebote abgegeben. Die Günstigste bekommt das OK.
- Der erste
Kostensprung steht am 31. März 2009 fest. Die technischen Probleme
mit der Beleuchtung, Fußbodenheizung und den behindertengerechten
Aufzügen
schlagen mit 1,7 Millionen Euro zu buche.
- Bürgermeister Jenz Rother holt beim
Regierungspräsidenten in Arnsberg die Zusage, dass auch die
Mehrkosten gefördert werden.
- Baubeginn
der Brücke ist am 21. September 2009.
- März
2011: Die Brücke kostet nun inklusive strittiger Forderungen 2 933
101,06 Euro.
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